Lorenzo Da Ponte
Kapitel 1
V ierzehnjährige Jungen stehen mit ihrem Va ter nicht selten auf
Kriegsfuß, und der junge Lorenzo Da Ponte hatte Grund zum Groll. Er sollte eine Stiefmutter bekommen, die so jung war, dass sie seine Schwester hätte sein können. Sein Va ter hatte die Familie aus ihrem alten Heim im Ghetto entführt, mit den Freunden seiner Kindertage durfte Lorenzo nicht mehr zusammenkommen. Und er hieß noch nicht einmal Lorenzo Da Ponte. Zumindest hatte er bis vor wenigen Minuten noch nicht so geheißen.
Der Name, mit dem er aufgewachsen war und den er soeben für immer verloren hatte, lautete Emanuele Conegliano. Sein Va ter, ein jüdischer Lederarbeiter, hatte seiner Familie eine neue Religion aufgezwungen. Kaum waren die buricche von Emanueles Bar-Mizwa-Feier erkaltet, da hatte der Knabe christliche Oblaten auf der Zunge. Sein Va ter Geremia hieß von nun an Gaspare; Emanuele würde sich daran gewöhnen müssen, seine Brüder nicht mehr Baruch und Anania, sondern Girolamo und Luigi zu nennen. Wie es der Brauch vorschrieb, nahmen sie alle den Nachnamen des Bischofs an, der sie getauft hatte, und Emanuele übernahm als ältester Sohn auch den Vornamen des Prälaten. Nach einer pompösen Zeremonie in der Kathedrale schritten die vier hinter Monsignor Lorenzo Da Ponte her und hinaus in das gleißende Licht auf der piazza maggiore von Ceneda.
Ceneda, "eine kleine, doch nicht unbedeutende Stadt des venezianischen Staates", lag eingezwängt zwischen den Dolomiten und den klaren, eisigen Wassern des Meschio. Die Berge begannen abrupt, sie hoben schon den westlichen Rand der Stadt hoch, als sei er die Ecke eines Teppichs. Schnee hielt die Berggipfel bis weit ins Frühjahr hinein bedeckt, und im Winter froren die Trinkwasserquellen zu. Der Sommer aber brachte Gluthitze. Geckos huschten zwischen den Steinen der Gartenmauern umher, Sonnenlicht glitzerte auf dem weißen Kies, der die Straßen bedeckte. Seidenraupen, die sich während des Frühjahrs vollgefressen hatten, hüllten sich in Kokons, die auf die emsigen Finger der Stadtbewohner warteten. Das ganze Jahr hindurch drehten sich längs des Flusses geräuschvoll die Wasserräder, mit denen Spinnereien und Papiermühlen betrieben wurden. Weiter stromabwärts bearbeiteten Gerber stinkende Häute, und Abkömmlinge der Familie Marsoni schmiedeten ihre berühmten Schwertklingen. Dahinter, aber nie weiter als wenige Gehminuten von den Straßen und Plätzen Cenedas entfernt, lagen Weinberge, fruchtbare Äcker und Wälder. Emanuele Conegliano konnte sich im Freien austoben oder mit seinen Freunden auf den Straßen herumtollen. Selbst im Ghetto, im westlichen Teil der Stadt, weckten ihn an schönen Tagen Taubengurren und Waldvogelgezirp, das Krähen der Hähne und das asthmatische Iah der Esel auf den Feldern.
Im Ghetto von Ceneda wohnten etwa fünfzig Juden, die zu einem großen Teil von einem gewissen Israel da Conegliano abstammten, den der damalige Bischof Marcantonio Mocenigo eingeladen hatte, sich in der Stadt niederzulassen und ein Pfandleihgeschäft zu eröffnen (eine Tätigkeit, die als Wucher für Christen gesetzlich verboten war). Die Coneglianos, ursprünglich aschkenasische Juden, die sich in der gleichnamigen Stadt angesiedelt hatten, betätigten sich in der gesamten Region als Geldverleiher. Viele von ihnen waren reich, und im 17. Jahrhundert hatte die Familie der Stadt Venedig einige ihrer hervorragendsten Ärzte geschenkt, aber Emanueles Va ter Geremia, der 1719 in Ceneda geboren war, entstammte einem verkümmerten Zweig des Clans. Er war ein Lederarbeiter von bescheidenem Einkommen, der Gürtel und Zaumzeug herstellte. Geremia heiratete Rachele Pincherle, eine Frau, die ebenfalls aus Ceneda stammte und, obwohl auch die Pincherles in dieser Gegend eine prominente Familie waren, anscheinend nur wenig Geld in die Ehe brachte. In Görz in der Nähe von Triest hatten die habs