Down Girl
11Vorwort: Auf Abwegen
Aber ach, wie klein und unscheinbar sah dieser mein Gedanke aus, als er dort im Gras lag, die Sorte Fisch, die ein guter Angler ins Wasser zurückwirft, damit er fetter und es sich eines Tages lohnen wird, ihn zuzubereiten und zu essen. [...] Aber so klein er auch war, besaß er dennoch die geheimnisvolle Eigenschaft seiner Art: In den Kopf zurückgesteckt wurde er umgehend sehr aufregend und wichtig, und wie er so dahinschoss und abtauchte und hier und dort wieder aufblitzte, verursachte er einen solchen Schwall und Aufruhr an Ideen, dass es unmöglich war stillzusitzen. So merkte ich auf einmal, wie ich in hohem Tempo über ein Rasenstück lief. Im Nu erschien die Gestalt eines Mannes, um mich abzufangen. Doch begriff ich zuerst nicht, dass das Gestikulieren des seltsam aussehenden Individuums in Gehrock und Frackhemd mir galt. Seine Miene drückte Entsetzen und Empörung aus. Da kam mir eher der Instinkt als der Verstand zu Hilfe: Er war ein Pedell, ich war eine Frau. Hier war der Rasen, dort war der Weg. Hier sind nur Fellows und Gelehrte zugelassen, mein Platz ist auf dem Kiesweg. Diese Gedanken waren das Werk eines Augenblicks.
Virginia Woolf, Ein Zimmer für sich allein, Stuttgart 2012, S. 8f.
»Wann werden Frauen Menschen sein? Wann?«, fragte die Rechtstheoretikerin Catharine A. MacKinnon 1999 in einem Essay.1 Ähnliche Fragen stellten unter anderem die Philosophinnen Martha Nussbaum (1995 und 2001) und 12Rae Langton (2009) zur sexuellen Objektifizierung von Frauen und die populären Autoren Arthur Chu (2014) und Lindy West (2015) zu frauenfeindlichen Drohungen und Gewalt. Sie finden ihren Widerhall auch in Bezug auf sexuelle Übergriffe, Stalking, Gewalt in Intimbeziehungen und bestimmte Tötungsdelikte. Alles das sind Verbrechen, deren Opfer in der Regel (wenn auch keineswegs immer) eher Frauen als Männer sind und die generell und teilweise fast ausschließlich eher von Männern als von Frauen begangen werden.2
Warum halten sich diese Muster selbst in angeblich post-patriarchalischen Teilen der Welt wie den heutigen Vereinigten Staaten, Großbritannien und Australien?3 Die gleiche Frage lässt sich in Bezug auf die zahlreichen anderen Formen von Misogynie stellen, mit denen sich dieses Buch befasst - von den subtilen bis hin zu den dreisten, von den chronischen und kumulativen bis hin zu den akuten und explosiven; von Formen, die auf kollektives Handeln (eines »Mobs«) und auf reine Strukturmechanismen zurückgehen bis hin zu den Taten Einzelner. Warum ist Misogynie immer noch ein Ding - um einen Ausdruck von John Oliver aufzugreifen.
13Es steht außer Zweifel, dass es in diesen Milieus in Hinblick auf die Geschlechtergleichstellung große Fortschritte gegeben hat, bewirkt durch die Frauenbewegung, kulturellen Wandel, Rechtsreformen (z.__B. Gesetze gegen sexuelle Diskriminierung) und Veränderungen in der institutionellen Politik (wie Antidiskriminierungs- und Fördermaßnahmen, von denen in den Vereinigten Staaten tendenziell vor allem weiße Frauen profitiert haben). Besonders beeindruckend ist der Zugewinn an Bildung bei Frauen und Mädchen. Und dennoch gibt es bei uns immer noch Misogynie, wie dieses Buch zeigen wird.
Die nach wie vor bestehenden Probleme, die teils sogar zunehmen, werfen heikle, verwirrende und drängende Fragen auf. Meiner Ansicht nach hat Moralphilosophie hier eine wertvolle Rolle zu spielen - auch wenn es letztlich einer ganzen Theoretikergemeinde bedürfen wird, das Phänomen umfassend zu begreifen. Das vorliegende Buch leistet hoffentlich einen Beitrag dazu, das Wesen der Misogynie sowohl in seiner allgemeinen Logik als auch in einer (allerdings nur einer einzigen) seiner praktischen Schlüsseldynamiken zu verstehen. Dazu gehört, dass Männer Frauen