Die Kunst zu beleidigen
Franco Volpi
Beleidigungen - von A bis Z
1. Die Beleidigung als letztes Mittel
Die Kunst zu beleidigen ist die ideale Ergänzung zum Handbüchlein Die Kunst, Recht zu behalten, dem Repertorium von achtunddreißig Kunstgriffen, das Schopenhauer zum Selbstgebrauch zusammengestellt hatte, jedoch nicht veröffentlichte.[1] Am Schluß seiner goldenen Sammlung von Schlichen und Tricks, die dazu verhelfen sollen, Streitgespräche und Auseinandersetzungen erfolgreich zu führen, d.h. den Gegner unabhängig von der Wahrheit zu schlagen, erklärt Schopenhauer die Grenzen jeder Argumentationstechnik und somit die Unentbehrlichkeit einer weiteren, äußersten Waffe: Begegnet man einem klügeren und geschickteren Gegner, dann helfen keine dialektischen Kunstgriffe, keine Verschlagenheit in der Rede mehr. Auf der diskursiven Ebene der Argumentation werden wir unvermeidlich geschlagen werden. Das bedeutet jedoch noch nicht, daß die Partie schon verloren ist. Es bleibt als extrema ratio - so legt Schopenhauer mit einem unverfrorenen Tip nahe - ein letzter, niederträchtiger Kunstgriff, der achtunddreißigste in seinem Katalog, der folgendes einschärft:
"Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob. Das Persönlichwerden besteht darin, daß man von dem Gegenstand des Streitens (weil man da verlornes Spiel hat) abgeht auf den Streitenden und seine Person irgend wie angreift: man könnte es nennen argumentum ad personam, zum Unterschied vom argumentum ad hominem: dieses geht vom rein objektiven Gegenstand ab, um sich an das zu halten, was der Gegner darüber gesagt oder zugegeben hat. Beim Persönlichwerden aber verläßt man den Gegenstand ganz, und richtet seinen Angriff auf die Person des Gegners: man wird also kränkend, hämisch, beleidigend, grob. Es ist eine Appellation von den Kräften des Geistes an die des Leibes, oder an die Tierheit".[2]
Schopenhauer fügt weiter hinzu: "Diese Regel ist sehr beliebt, weil jeder zur Ausführung tauglich ist, und wird daher häufig angewandt".[3] Was man wohl schon in der Antike wußte: "Wie sollte nicht auch den Sophisten das Mittel bekannt gewesen sein, durch welches Jeder sich Jedem gleich setzen und selbst die größte intellektuelle Ungleichheit augenblicklich ausgleichen kann: es ist die Beleidigung. Zu dieser führt daher die niedrige Natur eine sogar instinktive Aufforderung, sobald die geistige Überlegenheit zu spüren anfängt".[4]
Also: Beschimpfen, Beleidigen, Schmähen, Kränken und Verleumden wird - wie alltägliche Erfahrung zur Genüge lehrt - der unvermeidliche Ausgang vieler Diskussionen und Dispute sein. Mit leicht vorauszusehenden Folgen: "Es fragt sich, welche Gegenregel hierbei für den andern Teil gilt. Denn will er dieselbe gebrauchen, so wirds eine Prügelei oder ein Duell oder ein Injurienprozeß".[5]
Schopenhauer sieht besorgt auf diese mögliche Eskalation und möchte den Streitenden von solchen Auswüchsen lieber abraten. Das Beste und Klügste sei es, mit allen Mitteln zu vermeiden, sich zu einer solchen problematischen Steigerung treiben zu lassen. Zu diesem Zweck schärft er uns einige praktische Ratschläge ein:
1. Man kann auch mit Nonchalance die Schimpfworte und Beleidigungen des Gegners ignorieren und so tun, als ob nichts weiter wäre. Aus einer ganzen Reihe klassischer Beispielfälle und Anekdoten, die Schopenhauer heranzieht, geht deutlich hervor, daß weise Menschen sich selbst angesichts gröbster Beleidigungen und Beschimpfungen nicht haben aus der Reserve locken lassen und Gelassenheit wahrten.[6]
2. Noch klüger ist der Ratschlag, den Aristoteles in den Sophistischen Widerlegungen erteilt: Man soll tunlichst vermeiden, sich auf Streitgespräche mit dem Erstbesten oder mit jemandem einzulassen, der ins Blaue hineinredet wie die Sophisten. Kurz und gut: Ma