Religionsphilosophie und Religionskritik
14 1. Platon (ca. 350 v. Chr.), Nomoi
Platon ( 427 v. Chr. in Athen oder Aigina, 347 v. Chr. in Athen): Griechischer Philosoph mit Ausstrahlungskraft auf die gesamte Geistesgeschichte; Schöpfer der Ideenlehre und Lehrer des Aristoteles; Gründer Akademie.
I . Kontexte
Platon wurde in einer Athener Aristokratenfamilie geboren. Nach ihrem Sieg im Peloponnesischen Krieg (404) beseitigten die Spartaner die Demokratie in Athen und führten die Oligarchie, die Herrschaft der "Dreißig Tyrannen", ein; zu ihnen gehörten ein Bruder und ein Vetter von Platons Mutter. Sie veranlassten Platon, die politische Laufbahn einzuschlagen, aber Platon wandte sich bald enttäuscht ab. 403 wurde die Demokratie wiederhergestellt. Die Hinrichtung seines Lehrers Sokrates (399) durch die neuen Machthaber ließ Platon an der politischen Reform Athens verzweifeln und zu der Auffassung kommen, Gerechtigkeit könne nur dann verwirklicht werden, wenn politische Vernunft und Macht in der Person eines Philosophenherrschers vereinigt würden. Diese Überzeugung motivierte seine politische Tätigkeit in Syrakus, die ein völliger Fehlschlag wurde. Nach der letzten dieser drei sizilischen Reisen gründete Platon in Athen eine Schule, die Akademie.
Das Spannungsfeld von Platons Philosophie ist durch vier Pole bestimmt: (a) die tradierte Religion und Moral der griechischen Polis, die ihren Ausdruck findet im Mythos, im Kult und in der im Dienst des Kultes stehenden Dichtung, die beide wiederum vom Mythos bestimmt sind; (b) die ionische Naturphilosophie, deren naturalisierende Tendenzen den Gottesbegriff des Mythos in Frage stellen; (c) die Sophistik, d. h. die Aufklärung des fünften Jahrhunderts, die der objektiven Geltung von moralischen Normen die bloße Konvention entgegenstellt; (d) die Frage des Sokrates nach der Definition oder dem Wesen der Tugenden, z. B. "Was ist Frömmigkeit?", die voraussetzt, dass diese Namen eine objektiv geltende Norm bezeichnen und so auf eine von der sinnlich erfahrbaren unterschiedene Wirklichkeit verweisen.
15 II . Werk
Die Nomoi ( Gesetze ), für die auch der Titel Peri nomothesias ( Über die Gesetzgebung ) überliefert ist, sind ein Spätwerk Platons; die Einteilung in zwölf Bücher soll von Platons Schüler Philippos aus Opous stammen. "Ist es ein Gott oder ein Mensch", so fragt der Athener am Beginn seine beiden Gesprächspartner, "den man bei euch als Urheber der Gesetze betrachtet?" Ein Gott, so betont der Kreter, "ja ein Gott, um es ganz so zu sagen, wie es recht ist. Bei uns ist es Zeus; bei den Lakedaimoniern, wo unser Freund da herkommt, behauptet man, glaube ich, es sei Apollon" (624a). Damit ist der Kontext der Religionsproblematik genannt; es geht um das Verhältnis von Religion und Gesetz. Das ist im frühen Dialog Euthyphron das Sittengesetz; dort lautet die Frage: Ist das Fromme fromm, weil es von den Göttern geliebt wird, oder wird es von den Göttern geliebt, weil es fromm ist (10d)? Es wird geliebt, weil es fromm ist, und es ist fromm, weil es gerecht ist (11c-12d). In den Nomoi sind es die Gesetze des Staates. Ziel der Gesetzgebung ist die Tugend; sie ist die Ursache aller anderen Güter. Das Gespräch soll zeigen, dass in den Zeus und Apollon zugeschriebenen Gesetzen "alles das enthalten ist" (632d).
Die Nomoi schließen mit der Frage nach der Erhaltung der Gesetze. Wie "kann man ihnen in naturgemäßer Weise die Kraft verleihen, die sie unabänderlich macht" (960d)? Dazu braucht es ein Gremium, welches das Ziel des Staates und die dazu notwendigen Mittel erkennt. Diese "Gesetzeswächter" müssen in allen wichtigen Fragen die Wahrheit erkennen und imstande sein, sie mit Worten z